2021: Evelyn Richter „Von der Latenz der Bilder. Fotografien aus den 2000er-Jahren“, Leica Galerie Konstanz

© Evelyn Richter u. Werner Lieberknecht: links „Selbstportrait“, Bulgakow Museum, Moskau 2012, rechts „Selbstportrait in Cell (Eyes and Mirrors) von Louise Bourgeois“, Tate Modern, London 2007

Evelyn Richter ist eine der renommiertesten deutschen Fotografen. Im letzten Jahr erhielt sie als erste Preisträgerin, den seit 2020 von der Stadt Düsseldorf alle zwei Jahre für ein Lebenswerk ausgelobten angesehenen Bernd-und-Hilla-Becher-Preis. Einen Namen machte sich Richter vor allem mit ihrer sozialdokumentarischen Fotografie über das Leben in der DDR.

Statt Aufbruch, Utopie und den Sozialismus zu thematisieren, blickt Richter in differenzierter und kritischer Weise auf die Ereignisse ihres Heimatlandes. Richter wollte widerspiegeln, was wirklich ist und schreckte nicht davor zurück, triste und bedrückende Lebensverhältnisse zu schildern. Charakteristisch sind ihre narrativen, von Empathie begleiteten Bilder von Menschen: sie sind unterwegs in öffentlichen Verkehrsmitteln, besuchen Kunstausstellungen oder arbeiten in Fabriken. In wiederkehrenden Motiven verweist sie auf das Lebensumfeld ihrer Mitmenschen in der Stadt und auf dem Land. Hervorzuheben sind ihre über Jahre entstandenen Werkreihen von Musikern und Dirigenten. Zu den Portraitierten gehören beispielsweise David Oistrach und Paul Dessau.

Richter folgte ihrem Interesse an sozialen und politischen Ereignissen auch nach dem Fall der Mauer, so dokumentierte sie 2008 die Proteste gegen den Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke. Außer ihrem Themenspektrum blieb sie ihrer schonungslosen, gleichsam sensiblen Arbeitsweise treu, wie es ihre Fotografien von New York, Venedig und London oder der rumänischen Region Maramures verdeutlichen. Richter liebte das Reisen. 1957 besuchte sie zum ersten Mal Moskau. Bei ihrer letzten Reise in die russische Hauptstadt im Jahr 2012 gelang es ihr das orthodoxe Osterfest im schwer zugänglichen Kloster Borowsk zu dokumentieren. Richters künstlerisch-dokumentarisches Schaffen ist bis auf Ausnahmen schwarzweiß.

Richter ist 1930 in Bautzen geboren. Sie lebt und arbeitet in Leipzig, Dresden und Neukirch/Lausitz. Nach einer Fotografenlehre bei Christine und Pan Walther sowie Franz Fiedler in Dresden verblieb sie in der Stadt und arbeitete für einige Jahre als Laborantin bei den dortigen Vereinigten Gewerbestätten sowie als Fotografin an der Technischen Universität. 1953 begann sie in Leipzig an der Hochschule für Grafik- und Buchkunst ihr Studium bei Professor Johannes Widmann.  

1955 wurde sie wegen angeblicher Verstöße gegen die Studienordnung exmatrikuliert, in Wirklichkeit war der Ausschluss Richters Kritik am Studienbetrieb mit seinen starken politischen Vorgaben und der ideologischen Vereinnahmung geschuldet. Es war ein harter Einschnitt, denn es war die einzige Ausbildungsstätte, die akademisch-künstlerische Diplome in Fotografie verlieh. Richter war danach freischaffend. Sie machte Theater-, Werbe-, Messefotografie als Brotarbeit, ihre jahrzehntelange künstlerische Arbeit war „für die Kiste“, wie Richter es gerne benannte.

Zwischen 1956 und 1959 war sie Mitglied der oppositionellen Vereinigung „action fotografie“ in Leipzig (u.a. mit Ursula Arnold) wie auch der „gruppe“ (u.a. mit Arno Fischer). Von 1981 bis 2001 unterrichtete sie Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, zuerst als Lehrbeauftragte und Dozentin, dann als Ehrenprofessorin. Es war jene Hochschule, von der sie einst verwiesen worden war. Von 1990-1991 hatte sie auch einen Lehrauftrag für Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld. Mit ihren Studenten pflegt sie einen intensiven Austausch und motivierte sie zu eigenständigem Arbeiten. Mit dem Schüler Werner Lieberknecht ist ein enges, freundschaftliches Verhältnis entstanden; der Erhalt, die Entwicklung und die Vergrößerung, der hier ausgestellten Aufnahmen „Von der „Latenz der Bilder“ sind ihm mit zu verdanken.

Richter hat viele Ehrungen erhalten, darunter den Kunstpreis der DDR (1989), den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (1992), das Stipendium an der Deutschen Akademie Villa Massimo, Rom (1997) und die Ehrenmitgliedschaft der Sächsischen Akademie der Künste (2013). 2009 wurde das Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste in Leipzig gegründet mit dem Anliegen, das Werk der Künstlerin zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln.

Evelyn Richters Fotografien sind erst seit der Wende einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Seither ist sie jedoch deutschlandweit wie international, sei es New York, Oslo, London oder Rom, mit Ausstellungen geehrt worden.

Informationen zur Ausstellung in der Leica Galerie Konstanz

Einladungskarte