Wasser, Gräser, Seerosen, Steine, Möwen, Felder, Gärten und Wälder gehören zu den immer wiederkehrenden Motiven des seit mehr als fünf Jahrzehnten aktiven Lichtbildners Werner Stuhler. Sein künstlerisches Werk bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Fotografie und Fotografik. Seine weichen, flirrenden, die Phantasie anregenden Bilder, geschöpft aus der Weite der Natur wechseln sich ab mit klar stilisierten Formen und grafischen Linien – verdichtet, verfremdet und stilisiert in langer, intensiver Dunkelkammerarbeit – sind in einer etwa 80 Arbeiten umfassenden Werkauswahl in Konstanz zu sehen.
Ursprünglich wollte Werner Stuhler, der 1927 in Nürnberg geboren und in Lindau aufgewachsen ist, Kunstgeschichte studieren. Un-zureichende finanzielle Mittel ließen ihn jedoch zur Fotografie greifen. Die einstige Not entwickelte sich aber bald zur Tugend: Schon ein Jahr nach der Lehrzeit machte sich Stuhler mit einer bescheidenen Ausrüstung aber viel Begeisterung selbständig. Vor allem im Fach Portrait bewies er großes Können. Die konventionellen Regeln der Belichtung außer acht lassend, entwickelte er eine eigene Position und verschaffte sich schnell handwerklichen und künstlerischen Respekt. Schon im Alter von 25 Jahren erhielt er für das Bildnis eines Knaben die Goldmedaille auf der internationalen Portrait-Ausstellung in Bologna, zwei Jahre später die photokina-Plakette, wiederum für ein Portrait und 1962 und 1965 World Press Photo awards. Auch die Anerkennung, zusammen mit Albert Renger-Patzsch, als einer der besten Fotografen des Jahres 1959 beim International Photography Year Book, London gehört dazu.
Die künstlerischen Erfolge bestärkten Stuhler bei seiner „Brotarbeit“, wie umgekehrt deren dokumentarisches Beobachten die freie Tätigkeit befruchtete. Seine Fotografien wurden zunehmend nachgefragt von Feuilleton- und Reiseteilen verschiedener Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen. Noch bis weit in die 1990er Jahre bereiste er andere Länder, vor allem den Süden Europas. Seine erzählerischen Impressionen wurden in zahlreichen, sorgfältig gestalteten Fotobüchern publiziert. In Bildbänden zu Provence, Toskana, Campania felix und Apulien entfalten sich ornamentale Pracht und fremdartige Schönheit südlicher Landstriche neben dem alltäglichen Leben des kleinen Mannes.
Stuhler begann seine fotografische Tätigkeit 1948, jenen Jahren, als hierzulande vehement nach einer neuen, schöpferischen Bildsprache gesucht wurde. Neugierig beobachtete Stuhler die Impulse, die von der 1949 gegründeten, kleinen Vereinigung fotoform ausgingen und darauf abzielten, die Welt nach den Schrecken des Krieges auf eine ganz persönliche Weise neu zu entdecken und zu vermitteln. Stuhler, der schon im Alter von 17 und 18 Jahren die Härte des Kriegs erfahren musste, war dem Reiz von Formen und Strukturen, Details und vom Zufall generierten Mustern genauso erlegen, wie die Gruppe fotoform sowie die aus ihr entstandene, breit gefächerte Bewegung subjektive fotografie. Mehr als andere bearbeitete er seine Motive in der Dunkelkammer, formte konkrete Bildinhalte in abstrakt-grafische Gebilde. Stuhler spricht bei seiner Arbeit dann von Fotografiken, wenn er sorgfältig gezogene Ackerfurchen in konstruktivistische Bilder, feine Gräser in fremdartige Hieroglyphen, Pfähle und Schneezäune in minimalistische Zeichnungen und welliges Wasser in Gemaltes verwandelt. Stuhler arbeitet mit Mehrfachbelichtungen, Montagen, Solarisationen, Tontrennungen, Maskierungen und Negativdrucken, also mit Verfahren, die der Fotopädagoge und Nestor der subjektiven fotografie, Otto Steinert zu den rein fotografischen Gestaltungselementen zählt. Seine Versiertheit in der Dunkelkammer ist entscheidend auf seine Bekanntschaft mit Heinz Hajek-Halke zurückzuführen, dem frühen Meister experimenteller Fotografie mit seinem unüberschaubaren Repertoire an Techniken. Hajek-Halke ermutigte ihn maßgeblich dazu, eigene Bildwelten zu erkunden und die Dunkelkammer für fototechnische und fotochemische Verfremdungen auszutesten.
Bei seiner Suche nach kreativem Ausdruck befreundete sich Stuhler mit dem Maler Georg Muche, der seit 1960 im benachbarten Bad Schachen lebte und ihn bekräftigte seine Bildaussagen stärker zu variieren, insbesondere abstrakter zu gestalten. So finden sich bei den Tropfen-, Pflanzen- und Kugelaufnahmen motivische Parallelen zur Malerei des Bauhauskünstlers. In einer Zeit, als Bildende Künstler und Fotografen sich eher ablehnend gegenüberstanden, führte die beiderseitige Offenheit zu einem befruchtenden Zusammenspiel. Das bedeutende Mappenwerk Totentänze mit seinen mumifizierten Eulen, für das Stuhler Fotografien fertigte, die Muche überarbeitete und veröffentlichte, zeugt davon. 1967, zur Zeit des Wettrüstens entstanden, thematisiert es den atomaren Tod.
Im Laufe der Jahre werden die Bilder des begabten Kamerameisters abstrakter und farbiger; er laboriert in vielerlei Spielarten. In extremen Nahsichten verrätselt er Bildinhalte; Experimente mit Lichtreflexen erinnern an kosmische Welten. Manche Themen, wie das Portrait verlieren an Bedeutung, anderen, wie dem Wasser erweist er eine nie endende Referenz. Reizvoll ist die Vielfalt seines Schaffens, hervorgegangen aus der intensiven Auseinandersetzung mit den schöpferischen Möglichkeiten des Mediums. Werner Stuhler ist 2018 im Alter von 91 Jahren verstorben.